Mag. Jakob Kelz, PhD. erklärt im Rahmen seiner Lehrveranstaltung „Lernumgebungen für forschende Mathematik“ das Ziel von Lernumgebungen folgendermaßen:
Forschendes Lernen zeichnet sich vor anderen Lernformen dadurch aus, dass die Lernenden den Prozess eines Forschungsvorhabens, das auf die Gewinnung von auch für Dritte interessanten Erkenntnissen gerichtet ist, in seinen wesentlichen Phasen – von der Entwicklung der Fragen und Hypothesen über die Wahl und Ausführung der Methoden bis zur Prüfung und Darstellung der Ergebnisse in selbstständiger Arbeit oder in aktiver Mitarbeit in einem übergreifenden Projekt – (mit)gestalten, erfahren und reflektieren“ (Huber 2009, S.11).
Was sind die wesentlichen Bestandteile des Unterrichtens mit Lernumgebungen? (Tretter et al. 2009)
Unter Lernumgebungen versteht man Aufgabenstellungen, die sowohl die Heterogenität der Schüler/innen berücksichtigen und einen Zugang für alle Kinder bieten als auch das aktiv-entdeckende Lernen begünstigen. Solche Aufgaben sind auf unterschiedlichen Verständnis- bzw. Abstraktionsebenen lösbar und fordern das Entwickeln persönlicher Denkwege und Darstellungsformen heraus. „In Lernumgebungen können langsam und schnell Lernende innerhalb des gleichen fachlichen Rahmens integriert gefördert werden. Dank der Offenheit und der Reichhaltigkeit der Aufgaben und Arbeitsanweisungen regen sie zum eigentätigen Mathematik-Treiben an und lösen Fachgespräche aus.“ (Hirt/Wälti 2008, S. 12)
Im Gegensatz zu traditionellen Aufgaben ist eine Lernumgebung so angelegt, dass sie eine längere und vertiefende Beschäftigung vorsieht, keine Rechenwege vorgibt und viel Spielräume für die Gestaltung des Lösungsweges lässt. Damit kommt der Präsentation der Aufgabe am Anfang der Arbeit mit einer Lernumgebung eine besondere Bedeutung zu. Wichtig ist hierbei, dass wirklich alle Kinder unabhängig von ihrem Leistungsvermögen mit der Fragestellung vertraut werden und diese verstehen können. Dies erfordert eine niedrige Eingangsschwelle, die zum eigenen Ausprobieren anregt und herausfordert. Beim Besprechen der Aufgabenstellung sind die Andeutung von Lösungswegen (strategische bzw. inhaltliche Hilfen) oder Erwartungen an eine bestimmte Darstellungsform möglichst zu vermeiden, denn eine explizite oder auch indirekte Vorgabe von Wegen schränkt das Suchen nach kreativen und eigenen Lösungsmöglichkeiten ein. Der Lehrerin kommt bei der Arbeit mit Lernumgebungen vor allem die Rolle der Beraterin und Organisatorin zu. Hierzu ist ein tiefes Verständnis des zentralen mathematischen Inhalts der Lernumgebung eine wichtige Voraussetzung. Natürlich wird es immer wieder passieren, dass Kinder in gedankliche Sachgassen geraten. Dann brauchen sie eine Lehrerin, die sie berät und unterstützt, mögliche Perspektiven aufzeigt ohne jedoch wichtige Entdeckungen vorweg zu nehmen. Zu einem späteren Zeitpunkt ist sie dafür verantwortlich, den Austausch untereinander zu organisieren und das auswertende Unterrichtsgespräch zu steuern. Das Gespräch über die bei der Arbeit gemachten Erfahrungen, die unterschiedlichen Herangehensweisen, die gefundenen Lösungswege und gemachten Beobachtungen ist ein fundamentaler Bestandteil der Arbeit mit Lernumgebungen. Der Austausch über geschickte Rechenwege und Entdeckungen, die Anerkennung der unterschiedlichen Vorgehensweisen oder auch das Wahrnehmen von interessanten Darstellungen findet hier seinen Platz. Da alle Kinder an den gleichen fachlichen Inhalten gearbeitet haben, können sie von den Beobachtungen und Vorgehensweisen der anderen profitieren und werden zum Weiterdenkenden angeregt. Leistungsstärkere Schüler können sich argumentativ auseinandersetzen und ihr fachliches Wissen vernetzen. Die Leistungsschere wird hierbei sicher stärker sichtbar werden als im herkömmlichen Unterricht, dies erzeugt aber einen Lernzuwachs bei allen Kindern. Sich von der Vielfältigkeit und oft auch der gedanklichen Tiefe der Schülerprodukte überraschen zu lassen, ist auch für die Lehrerin spannend. Dies gilt sowohl für Lösungswege als auch für die häufig sehr originellen Formen der Darstellung. Letztlich wirken Lernumgebungen für das Unterrichtsklima ausgleichend und motivierend, weil alle an der gleichen Aufgabe arbeiten und kein Kind durch Sonderaufgaben ausgegrenzt wird. Das gemeinsame Mathematiktreiben unterstützt das Von- und Miteinander lernen sowie die Akzeptanz von unterschiedlichen Sicht- und Herangehensweisen. Die Auswahl der Aufgaben ist Dreh- und Angelpunkt einer Neuorientierung des Mathematikunterrichts. Ein anderer methodisch-didaktischer Umgang mit Aufgaben in Form von Lernumgebungen ist eine wichtige Ergänzung des Fachunterrichts, die wichtige Inhalte aufnimmt und das Erreichen relevanter Ziele unterstützt. Auch wenn Lernumgebungen immer Elemente des produktiven Übens beinhalten und das Automatisieren grundlegender Fertigkeiten mit dem Fördern eines tieferen Verständnisses mathematischer Zusammenhänge verbinden, bedarf der Unterricht darüber hinaus auch noch spezifischer Phasen des Übens grundlegender Fertigkeiten.
Literatur:
Hirt, Ueli/Wälti, Beat: Lernumgebungen im Mathematikunterricht. Natürliche Differenzierung für Rechenschwache bis Hoch begabte; Klett/Kallmeyer 2008
Huber, L. (2009):Warum Forschendes Lernen nötig und möglich ist.In: Forschendes13.Lernen im Studium. Aktuelle Konzepte und Erfahrungen,hrsg. v. Ludwig Huber, JuliaHellmer und Friederike Schneider.Bielefeld: Universitätsverlag Webler, 9 – 36.
Tretter, Karin; Pfeng, Anita; Beyer, Kerstin; Hums-Heusel, Maria; Gebert, Astrid (2009): Individuelle Stärken herausfordern. 11 Lernumgebungen für einen differenzierenden kompetenzorientierten Mathematikunterricht von der Schulanfangsphase bis zur 6. Klasse. Hg. v. Senatsverwaltung für Bildung, Wissenschaft und Forschung. Online verfügbar unter https://bildungsserver.berlin-brandenburg.de/fileadmin/bbb/unterricht/faecher/naturwissenschaften/mint/iMINT-Akademie/iMINT-Grundschule/Individuelle_Staerken_herausfordern.pdf, zuletzt aktualisiert am 06.07.2020.